Zukunftswünsche

Dieser Text entstand an einem Herbstnachmittag, an dem ich eigentlich einen Deutschaufsatz schreiben sollte.
Und teilweise hat diese Geschichte mir geholfen. Den sie war wie ein Ziel, dass man erreichen kann, auf das man zuarbeiten kann...

Meine Fingerfinden zielgerichtet den Klingelknopf. Leise Schritte tasten sich zurTür hervor. Ganz leise bin ich mir unsicher, war es falsch, hier herzu kommen? Hätte ich es lieber sein lassensollen?

Aber ichunterdrücke die Gedanken; es ist richtig hier zu sein. Es wird nichtmehr so sein, wie es einst war. Ich bin anders geworden, ich kanndas, beschwichtige ich mich selbst.

Und da stehstDu, Dein Blick fängt meinen auf, Du versuchst in meinen Augen zulesen, aber ich halte deinem Blick stand. Zielsicher schaue ich Dichan. Ich werde Dir nicht zeigen, wie sehr die Angst mich im Griff hat.Ich packe all meinen Mut zusammen und halte deinem Blick stand.Langsam sehe ich, wie die Angst in DeineAugen huscht; Du versuchst sie zu unterdrücken, aber all die Jahrehabe ich Dich besser gekannt als je ein anderer Mensch. Du hast Dichverändert, bist alt und grau geworden. Ein gebrechlicher Mann stehtvor mir, doch selbst das willst Du nicht zugeben. Du packst deinenalten Körper in jugendliche Klamotten. Zitternde Hände wollen mirden Weg ins Haus geleiten, aber ich schüttle nur still den Kopf,sage Dir, dass Du Dir Schuhe und Jacke anziehen sollst und mitgehensollst. Nie wieder werde ich dieses Haus betreten. Nie wieder einenFuß dort hinein setzen. Ich will Dir nicht noch einmal die Chancegeben, das zu tun, was Du jahrelang getan hast. Denn heute entscheideich und nicht mehr Du. Auf einmal kommst Du die Treppe hinunter,streckst die Hand aus, um sie mir zu geben, aber ich mache keineBewegung. Ich werde Dich nie wiederanfassen. Keine meiner Händewird noch einmal deinen Körper berühren. Egal, ob es sich gehörtoder nicht. Ich weiß, wie Du Dich anfühlst und Du bist mir zuwider.Die Zeiten haben sich geändert und langsam ahnst auch Du, warum ichhier bin. Doch Du hältst Dich tapfer, so wie ich es auch jahrelanggetan habe. Ja nichts anmerken lassen.

Die Straßezeigt uns den Weg, wir laufen still nebeneinander her. Ich gebe Dirdie Möglichkeit etwas zu sagen, aber Du weißt selbst nicht, was Dusagen willst. Stumme Worte sind unser Begleiter, aber es ist okay,ich musste all die Jahre schweigen, bis heute kann ich es besser alsviele Menschen.

Die Felderstehen im schönen Grün. Neben all dem Weizen blüht vereinzelt derRaps hindurch. Langsam machen wir uns auf den Weg, und mit jedemneuem Feld wirst Du unruhiger, aber ich will Dir nicht die Angstnehmen, ich will Dir zeigen, was das für ein Gefühl ist, dieseUngewissheit vor dem Kommenden. Du sollst nur einen Hauch von demspüren, was ich schon in- und auswendig kenne.

Doch dann fangeich an. Mit jedem Feld, das an uns vorbeizieht, lasse ich auch dieJahre vorbei ziehen. Ich erzähle Dir von mir. Von meinem Leben, dassich nie geführt habe, wohlwissend, dass Du mir geholfen hast,sie zu erbauen, diese Scheinwelt, die es nie gegeben hat.Voller Stolz erzähle ich Dir von einer grandiosen Kindheit, vonwunderschönen Geschichten, Erlebnissen. Du lachst und erzählst auchtolle Geschichten, so wirken wir nach aussen wie eine stolze,wunderbare Familie. Doch dann sage ichein Wort und Du bist still, mitten im Satz hörst Du auf, mitzumachenin dieser Scheinwelt. Ich lasse Dir die Zeit, ich kenne Dich besser,eigentlich fast genauso gut wie Du selbst.Doch eins unterscheidet uns: Während Dugehandelt hast, habe ich gespürt. Während Du machtvoll warst, warich ohnmächtig. Während Du gelacht hast, war mirnach weinen zumute. Während Du Freude empfandest, empfand ichnur Schmerz. Während Du Täter warst, war ich das Opfer. Das hat unsgetrennt, vielleicht auch all die Jahre, die zwischen uns liegen,zwischen Dir und mir. Es war Dir damals egal. Ein Kind und einerwachsener Mann. Heute hättest Du gehofft, dass ich mich nieerinnere, aber es ist anders gekommen. Doch dieses eine Wort hat Dichzum Schweigen gebracht, Du willst es nicht wahrhaben, Du willst esverleugnen, aber dazu ist es zu spät, das weißt Du genauso wie ich.Du blickst über die Felder, versteckst Deine Hände in deinerJackentasche, drehst Dich von mir weg. Willst nicht, dass ichweiterrede, aber ich nehme keine Rücksicht mehr auf Dich, genausowenig, wie Du auf mich Rücksicht genommen hast all die Jahre. Ichrede weiter, erzähle Dir die Wahrheit über meine Vergangenheit,sehe, wie Du Dich innerlich wehrst. Willst sie nicht wissen, willstnicht, dass ich sie Dir erzähle. Dabei hast Du Dich all die Jahredaran ergötzt. Was hat das geändert? Vielleicht das, dass ich nunanders geworden bin? Nicht mehr das Kind von einst bin?Nicht mehr das kleine schüchterne Mädchen, dass stets bereit standfür Deine Machenschaften. Du schüttelst den Kopf, magst mir denMund verbieten, sagen, dass ich aufhören soll. Jammerst mich an,dass es nicht wahr ist. Dass ich selbst schuld bin. Aber sag mir,kann ein vierjähriges Kind sagen „Nein, dass will ich nicht!“?Ja, das kann es und ich bin mir sicher, dass diese Worte über meineLippen gekommen ist, aber es war Dir egal, Du hast nicht zugehört.Dicht gemacht gegenüber meinem Bitten, für meinem Betteln, denn eswar Dein Wille, Dein Wille, Deine Wut, die rausmusste, Dein Spaß,den Du erlebt hast. Ich frage Dich nach Ihnen. Nach den Menschen, dieDu eines Tages mitgebracht hast, um auch ihnen einen Platz zumaustoben zu geben. Du schüttelst den Kopf, verneinst jeglicheZusammenkunft mit anderen Menschen. Weißt nicht mehr, wo sie wohnenoder gar noch leben oder schon tot sind. Doch im Gegensatz zu Dirweiß ich es, ich habe jeden Einzelnen besucht. So wie Du, also aucham Grabe. Ich weiß, was Ihr getan habt. Jeder Einzelne von Euch.Kenne die meisten Eurer Taten, die meisten Eurer Wünsche, diemeisten Eurer Vorlieben. Ich hab sie jahrelang vergessen. Ja, dasstimmt. Ich hab sie in der hintersten Ecke meines Kopfes verstaut.Ich konnte damals nicht damit umgehen, mit dem, was Ihr da getanhabt, weder mit den Handlungen noch mit den Bildern, die darausentstanden sind. Bilder, die bestialisch aussehen, Bilder dieGedanken von Menschen enthalten, denen man nicht mal in der übelstenaller Nächte begegnen möchte. Ich kenne diese Bilder, ich habe siewieder gesehen. Ich weiß, was jeder Einzelne von euch getan hat.

Doch wir laufennebeneinander her. Diese eine Wort hat Dich so aus dem Konzeptgebracht. Ich erkenne den Weg wieder, wie oft sind wir ihn gelaufen,Du, Deine Frau und ich. Hier lebten einst Hasen. Ich atme die Luftein, wohlwissend, dass die nächsten Tage schwer werden, aber niemalsso schwer wie all die letzten Jahre deines Herrschens über mich. Ichhabe vieles getan, von dem wir alle miteinander überrascht waren,sowohl Du als auch ich. Ja ich glaube Dir, wenn Du an mir hochschaustund ein klein wenig Panik verspürst.

Denn Du hastRecht, haben wir doch die Seiten längst gewechselt. Heute weiß ich,was Dich erwarten wird. Heute habe ich die Fäden in der Hand. Abereines kannst Du mir glauben: leider kann ich Dir nie so weh tun, wieDu es gekonnt hast.

Die Welt zieht an uns vorbei. Und ich traue mich,traue mich, Dir eine Frage zu stellen.Eine, auf die ich all die Jahre gewartet habe, doch ich habe Angst,dass Du nach diesem einem Wort auch diesmal nicht zu einer Antwortbereit bist. Ich bleibe stehen, blicke der Sonne hinterher, wie siesich verabschiedet am Horizont, wie ich all die Jahre gehasst habe,dass sie geht, war es doch die Ankündigung von Dir. Dass Du kommenwürdest und holen würdest, vondem Du meintest, das es Dir zustünde. Wie ich diese Zeitengehasst habe. Wenn Du an der Tür standest und nur darauf gewartethast, dass all die anderen ins Bett gehen, dass Du Dir das holenkannst, was Dir gehört. Wie ich da Dein Lächeln gehasst habe, wiemich Deine Augen schon gefressen haben. Ich habe Deine Augen gehasst,Deine Blicke gespürt, weiter als es jemals möglich sein gewesendürfte. Nur ein Wort kommt über meine Lippen, doch auch diesmalbist Du wie ein dicker Stein. Du erstarrst, blickst mich an und dasehe ich es, ein Funkeln in deinen Augen. Doch da erkenne ich, Duhast selbst keine Antwort auf meine Frage. Langsam biegen wir in dieStraße ein. Du siehst es genauso schnell wie ich. Ja, da steht es,ein Auto, und nein, nicht nur ein Auto, aber ja, da sticht es hervor,eines ganz alleine nur für Dich. Die Rückbank wird Dir gehören.Und die Männer kommen auf uns zu.

Ich bleibestehen, Du hättest alle Chance gehabt der Welt zu gehen, aber Duweißt genauso wie ich, Du hast keine mehr, würdest Du fliehen, sowürdest Du schneller im Auto sitzen als Dir recht ist. Die Männerbegrüßen mich, nicken mir zu, sie haben mich die letzten Wochenkennen gelernt. Handschellen wechseln ihren Besitzer und klicken umDeine Handgelenke. Du wehrst Dich nicht mal. Ahnst, dass Du niewieder eine Chance haben wirst, da heile rauszukommen. Andere Männertragen Kisten aus deinem Haus, PC und alles. Deine Frau, Sie steht ander Tür. Fassungslos blickt sie mich an. Doch ich weiß, auch siewird noch mitfahren müssen. Und auch sie wird sich selbst demstellen müssen. Sie kann mir nicht erzählen, dass sie es niemitbekommen hat. Sie hat fast alles gewusst. Ihr Blick durchbohrtmich, sie kommt auf mich zu. Holt schon zum Schlag aus, aber sie wirddaran gehindert. Ein Polizist hält siefest, nimmt auch sie mit ins andere Auto. Ich stehe hier, vor demHaus, indem meine Kindheit zerstört wurde. Ich blicke durch dieoffene Haustüre hinein ins Verderben. Wage nicht einen Fuß hierreinzusetzen, sehe aber die vielen Menschen in dem Haus, die allesausräumen und umräumen. Spüre eine Hand auf meine Schulter,erschrecke, erkenne aber gleich, dass es die Hand meiner Therapeutinist, die mich sanft zum Gehen bewegen will. Ich drehe mich um,schreite langsam die Treppen hinunter. Mit jedem Schritt nehme ichlangsam meine Freiheit wahr und auch, dass ich es endlich geschaffthabe. Waren die letzten Tage nur einerschreckendes Erlebnis, die Offenlegung aller Taten, dieHölle meines Daseins. Doch die letzten Tage waren kein Vergleich zuden Jahren davor, die ich mit meiner Vergangenheit schon am arbeitenbin. Ganz sanft drücke ich die Hand meiner Therapeutin, Tränen inmeinen Augen, sie bahnen sich den Weg.Sie hält meine Hand fest, ahnt, dass dieser Schritt der Größtemeines Lebens war. Gemeinsam gehen wir raus auf die Straße.Gemeinsam treten wir meinen engsten Wegbegleitern entgegen.Gesichter, die ich all die Jahre gesehen habe, die mich immer wiederermuntert haben, diesen Schritt zu tun. Viele kraftspendendenUmarmungen geben mir wieder Halt im Leben. Ein kleines Lächeln wagtsich über mein Gesicht. Nun weiß ich, dass ich all die Jahre Rechthatte. Recht mit dem, was er getan hat, Recht mit dem, was mir dieTräume in jeder Nacht gesagt haben, Recht mit all den Gefühlen,Recht mit all dem, was uns bewegt. Ich schaue hoch zu den Sternen undweiß wie damals, dass sie meine treuen Gefährten waren, treue undstumme Begleiter in all den Nächten, in denen er nachts über michhergefallen ist, in denen er mich gedemütigt und bis zum Äusserstenerniedrigt hat. Treue Gefährten in den Nächten, an denen erUnmenschliches getan hat, alles dokumentiert, um andere und sichselbst noch öfters an jedem Schmerz und an jedem perversen Spiel zuergötzen. Eins weiß ich auch, mit dem Stopschild auf all denKinderpornoseiten hat mir niemand geholfen. Denn, die Taten sindpassiert. Täter werden immer andere Wege finden und sich vor allemnicht an so einem Stopschild mitten im Internet stoppen lassen. Mirist damit nicht geholfen. All die Demütigungen haben den Weg um dieWelt schon längst gefunden. Viele der Bilder habe ich selbst wiedergesehen. Bei all den zahllosen Gesprächen bei der Polizei war ichnur eine von vielen, die sich all das Grauen angesehen haben. Und eswerden immer wieder unzählige neue Wege geben um an den Schildernvorbei zu kommen, solange die Homepages funktionieren und nichtgesperrt sind, wird es immer einen Weg vorbei an den Stopschilderngeben. Doch für heute weiß ich eins:

es ist vorbei.Nie wieder wird er ein Kind so demütigen, nie wieder! Meine Bilder?Sie sind schon zu weit um die Welt gereist, zuviele Menschen werdensich an meinem Leid noch ergötzen. Doch für heute ist es mir egal.Heute bin ich frei.

Wir haben dieSeiten gewechselt, er und ich. Nun muss er schauen, wie er vor Angstums Leben kämpft. Man hat mir eins versprochen, er wird keine nettenMithäftlinge bekommen.

Aber es ist miregal. Egal, was mit ihm passiert. Ich werde ihn wiedersehen, dassweiß ich. Auch weiß ich, dass er nie verstehen wird, was er aus mirgemacht hat, was all die Todesqualen in mir bewirkt haben. Ich weißes, viele Menschen um mich herum wissen es.

Aber er wird esnie verstehen, denn dazu müsste er zugeben, dass er Fehler gemachthat, riesige Fehler.

Aber das kann ernicht, das weiß ich genauso wie er.

Langsam laufenwir unter den Sternen hinaus in die Welt, meine treusten Begleiterund ich. Wir sind durch die Hölle des Lebens gegangen. Ich habe siezweimal durchschritten, das erste Mal alleine, nur mit ihm undsovielen anderen perversen Menschen. Später mit helfenden Händenund vielen Versuchen das Leben aufzugeben.

Ich bleibestehen, und blicke zum Mond. Für mich ist auch nun endlich die Suchenach der letzten Frage beendet. Denn auch er konnte mir keine Antwortgeben auf diese eine Frage.

Vielleicht werdeich sie mir nie wieder stellen. So gerne hätte ich mir von ihm eineAntwort gewünscht, aber es war mir nicht vegönnt. Ich hebe einenStein vom Boden auf und werfe ihn mit einem stummen Laut weit hinausaufs Feld. Ganz leise flüstere ich vor mich hin: " Selbst erkennt keine Antwort auf das Warum".

Ich ergreife zubeiden Seiten Hände, Tränen laufen mir über das Gesicht, heutedürfen sie da sein. Denn ich habe eines begriffen:

Ich bin frei.


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